Sex, no
„No sex please, we´re Japanese“ heißt ein BBC-Dokumentarfilm. Dieser provozierende Titel geht der Frage nach, weshalb die Geburtenrate in Japan sinkt und die Geschlechter offenbar noch weiter auseinander driften, als dies schon immer in gewisser Weise der Fall war. Heirat ist nicht mehr das Hauptziel einer jungen Frau. Damit stehen japanische Frauen nicht allein. Vielleicht ist es sogar ein allgemeiner Trend in Gesellschaften, in denen moderne, zunehmend selbstbewusste Frauen durch Heirat einen großen Teil ihrer Freiheit und beruflichen Chancen zu verlieren fürchten (das gilt vor allem auch für konfuzianisch ebenfalls geprägte Gesellschaften wie China und Korea). Japan hat unter den OECD-Staaten den höchsten Anteil alleinerziehender Mütter. Aber nur 2% aller Kinder werden in Japan außerehelich geboren (in Deutschland sind es über 30%), zunächst waren diese Mütter also verheiratet, entschieden sich aber für die Scheidung und ein selbst bestimmtes Leben. Lieber leben sie in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen als in Abhängigkeit.
Unter dem 2022 ermordeten früheren Premierminister Abe Shinzô hat sich der Anteil von Zeitarbeitern drastisch erhöht, der shareholder value großer Firmen erhöht sich dadurch, aber der allgemeine Wohlstand in der Gesellschaft geht zurück, weil Männer mit Zeitverträgen keine Familie ernähren können und Frauen mit Kindern nur schlecht bezahlte Halbtagsjobs finden. So vermeiden junge Männer Heirat und Gründung einer Familie vor allem aus finanziellen Gründen, bei Frauen ist es die erwähnte Angst, ihren Job durch Heirat aufgeben zu müssen. So ist derzeit die Hälfte der jungen Erwachsenen unverheiratet (andere Untersuchungen ergaben ein DrittelUnverheiratete bei Männern und ein Viertel bei Frauen in den Dreißigern), und die Unverheirateten haben auch keine Partner und keinen Sex, das gilt für 70% der 18-35-jährigen Männer und 60% der gleichaltrigen Frauen. Und das gilt allgemein für 50% der Japaner. So berichten auch mehr als ein Drittel der Ehepaare, dass sie kaum noch oder gar keinen Sex mehr haben, andere Untersuchungen gehen von der Hälfte aus. In einem Dutzend Jahren sollen demnach 50% der Japaner Singles sein und die Bevölkerung bis 2060 um 30% geschrumpft sein.
Virtueller oder käuflicher Sex tritt an Stelle echter Beziehungen. Japans Pornoindustrie steht mit 30.000 produzierten Pornofimen pro Jahr weltweit auf Platz eins. Im Elektronikviertel Akihabara gibt es jede Menge Geschäfte für Interessenten, darunter auch ein schmales, aber siebengeschossiges Kaufhaus für Sexartikel, für Frauen und Männer.
Andererseits, und das ist wieder typisch japanisch, entstehen daneben immer neue „Geschäftsmodelle“, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern fördern helfen sollen. Da sind z.B. Kuschelcafés, in denen junge Männer bzw. Frauen für eine Stunde in einem Séparée z.B. 8000 Yen dafür bezahlen, mit einem Mädchen bzw. jungen Mann zusammen zu sein. Sie/er zeigt zu Beginn ein Menü der angebotenen Dienstleistungen, die für 3 Minuten (die Zeit wird genau gestoppt) jeweils 1000 Yen extra kosten: Schultermassage, Umarmen, Kopf in den Schoß legen (bei Kundinnen: den Kopf an die Brust lehnen)… Sex ist nicht erlaubt. Für die Kund*innen sind das oft die ersten physischen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Klingt bizarr, ist aber ehrliche Dienstleistung ohne romantische Verklärung. Aus demselben Grund gibt es seit langem bereits die →Hostessen und Host Clubs. Es gibt auch online zu buchende Freund*innen zum Mieten, was z.B. für einen nachmittäglichen Bummel um die 15.000 Yen kostet. Da geht eine junge Frau mit einem jungen, gut aussehenden jungen Mann Händchen haltend durch den Park spazieren, als wären sie ein Paar.
Wer eine echte Beziehung will, begibt sich in die Welt des konkatsu, für das eine eigene Industrie entstanden ist, siehe →go-kon
Japans Pornoindustrie (→Prostitution, Pornografie,) ist sehr stark ausgeprägt. Prostitution ist verboten aber in versteckter Form für jedes Bedürfnis vorhanden. Sexuelle Belästigung (sekuhara von sexual harrassment) in vollen Nahverkehrszügen ist ein Problem, weshalb viele Bahnlinien in Stoßzeiten eigene Wagen für Frauen reservieren. Chikan sind Belästiger, hentai Perverse.