Tabus
Tabus sind in Japan nicht so stark ausgeprägt wie etwa in Polynesien, woher das Wort stammt. Auf Tabuverletzungen folgt kein Todesurteil, es folgen überhaupt keine Strafen. Aber Tabus werden von Japaner*innen genau beachtet, von →gaijin bisweilen übersehen, weil Japaner zu höflich sind, um sie auf den Fehler aufmerksam zu machen.
Man steckt Essstäbchen nicht senkrecht in den Reis, weil das nur bei Trauerfeiern gemacht wird. Das gilt übrigens generell in Ostasien. Man berührt mit den eigenen Stäbchen niemals die von anderen (futaribashi), und schon gar nicht reicht man Bissen mit den eigenen Stäbchen an die Stäbchen der Tischnachbarn weiter (kotsuage), denn so reichen die Familienmitglieder nach der Einäscherung Knochenreste von Person zu Person weiter. Als Ausländer sollte man wissen, dass dieses Tabu mit den Bestattungsriten zusammenhängt. Auch sollte man nicht mit dem Kopf nach Norden schlafen (kitamakura), weil die Toten so während der Totenwache (tsuya) aufgebahrt werden. Das hängt damit zusammen, dass das Haupt Buddhas bei seinem Eintritt ins Nirvana nach Norden und sein Gesicht nach Westen zeigte.
Ebenso, dass man nicht in Badekleidung ins Becken eines öffentlichen Bades steigt, es sei denn, es handelt sich um ein gemischtes Becken im Freien, bei dem Badekleidung ausdrücklich vorgeschrieben ist. Die Nase vor anderen Leuten zu putzen, ist ebenfalls ein Tabu: Bitte möglichst diskret und wenn nötig, wenigstens wegdrehen! Nie mit Schuhen Wohnhäuser und andere Räumlichkeiten betreten, in denen Schuhe nicht zugelassen sind, niemals mit Pantoffeln auf Tatamimatten!
Im →Shintô gibt es rituelle Befleckung, Verunreinigung (kegare) durch tsumi (Tabuverletzung), z.B. durch Kontakt mit Tod, Krankheit, Blut, einschließlich Regelblutung, aber auch durch Vergewaltigung. Die für die Tabuverletzung verantwortliche Person kann sich und die Gemeinschaft durch Rituale (misogi: rituelles Bad) reinigen. Kegare ist nicht dasselbe wie Sünde.
Durch die Einführung des Buddhismus übernahm diese Religionr die Zuständigkeit für Toten- und Gedenkfeiern, seither ist der Kontakt mit Tod ein Tabu im Shintoismus geworden. Wer von einer Totenfeier zurückkehrt, erhält ein Säckchen mit Salz zur „Reinigung“ vor der Rückkehr ins eigene Haus (um den dort residierenden kami nicht zu irritieren). Wer in der Familie einen Trauerfall hatte, verschickt zum nächsten Neujahr keine Grußkarten und verzichtet auch auf den ersten Besuch im Schrein an Neujahr (hatsumôde) →Bestattungsriten.